Auf den Spuren der Rallye Paris-Dakar: XT 500 und Caballero 500 Superleggenda in Marokko

Das ist die Geschichte einer Großmutter, auf der Suche nach einer Enkelin. Die Großmutter ist die Enduro-Legende YAMAHA XT 500, Baujahr 1980. Erstmalig 1976 in Marrakesch präsentiert, um dann ’79 und ’80 die Rally Paris-Dakar zu gewinnen. Als Enkelin stellt sich die FANTIC Caballero 500 Superleggenda vor, Baujahr 2020 und mit keinerlei ernstzunehmenden Siegen in der Tasche.

Mit 42 Jahren hat die XT ein Alter, in dem man sich dringend um die Verwaltung des Erbes kümmern sollte. Was gibt es zu erben? Und lohnt es Ansprüche geltend zu machen, oder bleibt nur eine Kiste voll nostalgischem Schrott?

Ein Motorrad, welches eine neue Fahrzeuggattung begründete, das Motorradfahren auf den Kern reduzierte, Abenteuer, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit seinem Fahrer lieferte. Ein Motorrad, „an dem man noch alles selbst machen konnte“, schwärmen Fans.

Doch auch hier nagt der Zahn der Zeit und gewissen technischen Neuerungen kann oder möchte sich der Motorradfahrer des aktuellen Jahrzehnts auch gar nicht verschließen: Elektrischer Anlasser, Einspritzung, Scheibenbremsen, 12V Elektrik und ein einstellbares Fahrwerk sind als Fortschritt zu bezeichnen. Der ursprüngliche Geist der XT muss also erhalten, aber in einem neuen Gewand präsentiert werden.

Anfangs war für die Enkelin ein Umbau angedacht – aus der Caballero „Rally“ sollte eine ausgereiftere Enduro werden. Und wer könnte dafür besser Pate stehen als eben die Mutter aller Enduros? Felgen und Dekor wurden entsprechend angepasst, Unnützes eingespart und schwere durch leichte Teile ersetzt. Ansonsten stand die neu getaufte „Superleggenda“ schon gut in der Tradition der XT: Einzylinder, 450ccm³, geländetauglich, leicht.

Auf einer ersten Bewährungsfahrt durch die Alpen konnte sich die neu gefundene Enkelin nun beweisen: Südtirol, Stilfser Joch, Livigno. Zugegeben, die hohen Alpenpässe sind nicht wirklich die Heimat für schwache Einzylinder. Was Großmutter und Enkelin an Motorleistung fehlt, machen beide Fahrzeuge aber durch ihre Handlichkeit wett. Nicht wenige der hier häufig vorzufindenden Groß-Reiseenduros konnten trotz Sauerstoffmangels auf mehr als 2000müNN überholt werden. Die beiden Neu-Verwandten ließen sich dank ihrer Gewichtsklasse spielerisch durch jede Kehre wedeln.

Die Überzeugung vom entstandenen Projekt und das Vertrauen in die Motorräder wuchs, Fahrer und Maschine harmonierten. Das Reisen fühlte sich so an, wie es mit dem Motorrad sein sollte: leicht.
Die finale Bewährungsprobe sollte nun dort stattfinden, wo alles vor 47 Jahren begann: In der marokkanischen Wüste.

Nach einer Nachtfahrt spuckt uns die Fähre auf dem afrikanischen Kontinent aus. Schnellstmöglich suchen wir die nächste Schotterpiste, auf der wir uns ca. 3km lang an dem Gefühl erfreuen, Abenteuer unter den Rädern zu haben. Zum Abenteuer gesellt sich ein recht großes Drahtstück, welches das Hinterrad der Caballero punktiert. Hier hilft auch nicht das viel bewährte Pannenspray. Unser Abenteuer findet ein jähes Ende – oder beginnt gerade erst richtig.

Wir treten den Rückzug an: Gewicht auf den Lenker, maximal 50 km/h und dank der sehr steifen MITAS E-09 Gummis schaffen wir es zurück in die Stadt. Dort machen wir Bekanntschaft mit der marokkanischen Hilfsbereitschaft. Sofort ist ein williger Helfer gefunden, der uns eine kleine Werkstatt mit ölverschmierten Gesichtern und Sicherheitszehentretern organsiert.

Nach ca. 1 Stunde sind wir wieder fahrbereit und mit mulmigem Gefühl zurück auf der Piste.

Parallel zur algerischen Grenze fahren wir Richtung Süden und Sahara. Die Landschaft ist karg, die Mittagshitze drückend. Stein- und Felswüste verlangen hier den Maschinen schon einiges ab.

Die Nacht verbringen wir auf der marokkanischen Hochebene, dem Rekam. Vom Blöken einer Schafherd werden wir am nächsten Morgen geweckt.

Zum Schutz vor dem Wind haben wir uns hinter einer Hausruine verkrochen, wo wir nun von den Weidetieren freundlich begrüßt werden.

Gegen Mittag halten wir im Schatten eines Olivenbaumes Rast und lauschen der Natur – untermalt von einem leisen Zischen. Als wir schließlich wieder losfahren wollen, wird uns klar, was das Zischen war: Die entweichende Luft aus dem Hinterrad der Superleggenda. Die große Mittagshitze hat vermutlich den Flicken bezwungen. Also gleiches Spiel von vorn: Zurück in die letzte Stadt, Werkstatt suchen, Reifen flicken. Abendessen mit der Werkstatt-Crew.

Spät am Nachmittag wollen wir uns bei einbrechender Dunkelheit in einem Dorf mit Vorräten eindecken. Wassermangel wird plötzlich zum kleineren Problem, denn der besagte Hinterreifen ist schon wieder platt. So langsam wird es seltsam. Vermutlich verhindert das Silikon aus dem Pannenspray eine ordentliche Verbindung zwischen Flicken und Schlauch. Mutmaßungen bringen uns hier aber nicht weiter – wir müssen wieder flicken. Mit Stirnlampe und unter Beobachtung des halben Dorfes wird am Straßenrand erneut das Hinterrad demontiert…

Ob aus Mitleid oder reiner Hilfsbereitschaft bleibt ungewiss – aber wir bekommen noch Flickzeug geschenkt, was unser Bordwerkezug deutlich aufrüstet.

Und erneut treten wir eine der ungeliebten Nachtfahrten an, um uns auf Schlafplatzsuche zu begeben und endlich unser ersehntes Abendessen genießen.

Die Anfahrt zum Col de Belkassem ist für uns die erste Strecke, die sich richtig nach Wüste anfühlt. Die wenigen Kilometer auf der Landkarte kommen uns wie unendliche Weite vor. Eine Wellblechpiste unter den Rädern durchs Nirgendwo, Staub im Gesicht und vom wolkenlosen Himmel brennt die Sonne senkrecht herab. Allein der Reiz des Abenteuers zieht uns in den Bann dieser sonst unwirtlichen Gegend.

Dennoch erreichen wir unbeschadet den Pass, welcher weder mit unfassbaren Höhenmeter, noch mit Steigung beeindruckt.

Über wenige Kehren scharfen Gesteins windet sich der Weg auf die Passhöhe. Anders als am Stilfser Joch erwartet uns hier keine Würstchenbude. Trotzdem schön, zu unseren Füßen liegt nun: Noch mehr Wüste.

Nachdem wir Budnib passiert haben, fahren wir nun teilweise blind dem GPX-Track oder wahllos irgendwelchen Fahrzeugspuren und der Himmelsrichtung hinterher. Tiefer und tiefer gelangen wir in die Steinwüste: Der Belag grob und stark zerfurcht, dazu wieder Wellblechpiste. Wir versuchen die optimale Geschwindigkeit zu finden, damit die Fahrzeuge nicht so hoher Belastung ausgesetzt sind. Spaß macht das nicht. Soweit das Auge reicht nur eine in der Mittagshitze flimmernde Gerölllandschaft und weit entfernt am Horizont Berge. Kein Baum, kein Strauch unter dem man Schutz suchen könnte – wie auf dem sprichwörtlichen Präsentierteller. Uns wird klar: Eine Panne würde hier ernste Probleme bereiten.

Zunächst einmal bestaunen wir aber eine freilebende Kamelfamilie. Tiere, die wie kein anderes Lebewesen die Wüste repräsentieren. Friedlich kauern Sie auf dem Steinboden, ohne Schatten, kein Gras, kein Wasser. Ein magischer Moment.

Doch leider ist auch dieser nur von kurzer Dauer: Während ich die Kamele betrachte, wirft mein Kollege einen sorgenvollen Blick auf das Hinterrad der Superleggenda. Der Reifen ist mal wieder platt – das ist mehr als ungeschickt. Eine Werkstatt geschweige denn eine menschliche Ansammlung ist nicht in Sicht. Abschleppdienst oder Montageeisen: Fehlanzeige.

Also müssen wir wieder Hoffen und Bangen, dass der Reifen nicht in die Knie geht und seine Steifigkeit uns zum Vorteil wird.

Mit niedriger Geschwindigkeit kriechen wir aus der Wüste zurück in die Zivilisation.

An der nächsten Tankstelle demontieren wir erneut das Hinterrad und versuchen einen neuen Schlauch zu bekommen, was leider nicht gelingt. Daher Flicken wir nochmals den Schlauch und fahren nach dem mittlerweile vierten Platten wieder in die Nacht hinein.

Diese Nachtfahrten haben einen ganz eigenen „Charme“: Die 6V Bordelektronik der XT ist eben alt, das Licht schwach. Dass die XT hinten fährt ist selbstverständlich, beschämend allerdings, dass die Kennzeichenbeleuchtung der Caballero die Straße besser ausleuchtet als der Frontscheinwerfer der XT.

Unser Nachtlager schlagen wir wieder einmal wild im Nirgendwo auf. In der Dunkelheit sehen wir nicht, was um uns herum ist, lediglich der sandige Untergrund ist zu erkennen. Die Temperaturen sind trotz des in der Nacht aufkommenden Windes sehr angenehm. Und der nächste Morgen begrüßt uns verlässlich mit der aufgehenden Sonne über der Wüste – wenige 100 Meter entfernt von der Straße Richtung Merzouga.

Gegen Mittag erreichen wir endlich Merzouga. Der Treff- und Ausgangspunkt für Touristen, die in die Sahara oder zumindest ein Foto der „Grande Dune de Merzouga“ wollen.

Bei einem lokalen Motorradtouren-Anbieter bekommen wir nun einen neuen Schlauch – entliehen aus einer KTM 450 – sowie Montageeisen und eine Luftpumpe. Nun sind wir gerüstet.

Zur Einstimmung treiben wir die Einzylinder eine Weile durch den roten Wüstensand, die Dünen hoch und wieder runter, sammeln spektakuläre Aufnahmen und surfen mit den Einzylindern an Kamelen vorbei durch echte Wüste.

Nicht zu sehen auf Bildern: Die Hotels und Kamelvermietung an der geteerten Straße im Hintergrund. Sehr kontrolliertes Abenteuer also.

Später am Nachmittag sind wir fast allein auf unserem Weg in die Sahara; vom Tourismus zeugen nur noch vereinzelte Herbergen im Nirgendwo.

Das Abendlicht erschafft eine wundervolle Szenerie, die Temperatur ist angenehm und ohne Hast verlassen wir die letzten Meter Asphalt. Die ehemalige Dakar-Strecke scheint sonst ordentlich frequentiert zu sein: Tiefe Schlaglöcher und Wellblech-Belag lassen keinen Flow aufkommen. Immer wieder weichen wir von der Hauptspur ab und fahren große Bögen auf unbefahrenem Grund. Die Geschwindigkeit variiert recht stark, mal kommen wir mit 70-80km/h voran – durch die Sandlöcher mangels Leistung aber nur mit 20-30km/h.

Aber Zeitnot haben wir sowieso nicht. Diese Strecke möchten wir genießen, dafür wir sind hier. Ob in der XT irgendwelche Erinnerungen wach werden? Wobei die Rally Dakar zu ihrer Zeit noch gar nicht durch Marokko geführt hat. Erst in den 90er Jahren ging die Streckenführung durch diesen Teil der Sahara.

Nun sind wir also zur goldenen Stunde mitten in dieser Sahara: Ein sich sanft erhebendes Dünen-Meer, gespickt mit einzelnen Grassträuchern. Der Wind hat die Sanddecke gleichmäßig mit einem Wellenbild versehen, welches hier und da von Spuren einer Schlange unterbrochen wird. Zur Linken ragt am Horizont ein Gebirgszug und zur Rechten stehen uns die markant roten Dünen. Wenn man jetzt noch das Bollern der Einzylinder abstellt hört man genau: Nichts. Einfach Ruhe.

Ein herrlicher Ort zum Verweilen – Einige Kilometer hinter Ouzina schlagen wir unser Nachtlager auf und

breiten zwischen XT und Caballero unsere Plane aus. Hier gibt es weder störenden Fluginsekten, noch Straßenhunde. Den Gedanken an Schlangen oder Skorpione verdrängen wir mit dem Blick auf den atemberaubenden Sternenhimmel. Diese Herberg hat tausend Sterne.

Unser Frühstücksbuffet besteht aus einem frisch gebrühten Kaffee. Den Duft in der Nase, die Sonne im Gesicht. Was für ein herrlicher Tagesbeginn!

In Ramilia tanken wir beim örtlichen Gemischtwarenhändler Benzin aus 5l Einweg-Wasserkanistern, um uns anschließend durch ein ausgetrocknetes Flussbett zu kämpfen. Zwischen Dünen surfen wir durch den Fesh-Fesh und müssen Acht geben, dass wir nicht stranden. Jetzt fehlen uns tatsächlich ein paar PS. Wenngleich die FANTIC etwas stärker um die Brust ist und die Nase vorn hat, stapft die XT mit unfassbar niedriger Drehzahl hinterher – der 500ccm Motor ist fast nicht abzuwürgen. Die Schwungmasse auf der Kurbelwelle muss aus einem Traktor stammen.

Obwohl wir vor diesem Streckenabschnitt gewarnt wurden, schlagen sich Großmutter und Enkelin doch gut auf den Spuren der großen Rally.

Und vielleicht mangelt es sogar noch mehr am fahrerischen Können: Mitten in der Wüste stoßen wir auf einen kleinen Flusslauf, den wir durchqueren müssen. Die Kombination aus Sand und Schlamm ist schwer einzuschätzen – Ich lande mit der Superleggenda auf der Nase. Schon eine beachtliche Leistung, sich in der Sahara nasse Füße zu holen.

Vor uns liegen aber noch weitere 100 Kilometer Wüste, die uns einiges abverlangen. Der ständig wechselnde Untergrund erfordert höchste Konzentration. In einem Moment können wir den Pferden die Sporen geben, weil der Untergrund bolzen flach ist, im nächsten müssen wir plötzlich die Geschwindigkeit drosseln und durch ein Sandnest schlingern. Einerseits muss man das Navi und die  Fahrzeugspuren im Blick behalten, um nicht gänzlich vom Weg abzukommen, andererseits müssen wir auch häufig alternative Routen suchen, da die angezeigte Strecke schon sehr ruiniert ist. So arbeiten wir uns Kilometer für Kilometer voran.

Mittagspause unter einem Baum, Wasser und Corned Beef aus der Dose.

Am Horizont sehen wir in der flimmernden Hitze einen Einheimischen mit wehendem Turban auf einem China-Roller vorbeifliegen. Ob man hier wirklich eine teure Rally-Maschine braucht? Zumindest, wenn man Spaß haben will…

Mit zunehmenden Kilometern wird es wirklich zäh, die Konzentration nimmt deutlich ab und wir sehnen uns schon wieder nach Asphalt. Und das nach nur zwei Tagen. Wir sind wirklich beeindruckt, welche körperliche und geistige Hochleistung ein Rallypilot aufbringen muss.

Um uns noch vollends zu zermürben, führen die letzten Kilometer über einen kleinen Höhenzug, der aus unangenehm schroffen Gestein besteht. Wir rumpeln und holpern über die Steine und müssen anerkennen, dass mehr Federweg und ein ordentliches Fahrwerk einen tatsächlichen Mehrwert hat.

Den Kaffee lieben wir kurz und knackig – so auch unsere Touren. Daher ist das Abenteuer Sahara vorerst abgehakt. Nun steht noch das Atlas-Gebirge auf der Liste und schließlich als finales Ziel Marrakesh.

Mit dem Wüstensand lassen wir auch die Befürchtung eines erneuten Plattfußes zurück und erklimmen nun zuversichtlich den Atlas. Die asphaltierte Straße führt uns in den Ausläufern des Gebirges durch imposante Schluchten, von denen wir die ein oder andere Ecke von Fotos aus Reiseberichten wiedererkennen. Das bedeutet aber auch eine Zunahme an Tourismus. Ganz schön was los hier: An fast jeder Ecke ein Hotel, Restaurant, Souvenirgeschäft und freies WLAN. Plötzlich gibt es Parkverbotsschilder oder man muss für freie Stellplätze zahlen.

Unbeeindruckt vom Touristentrubel übernachten wir in einer kleinen Seitenschlucht und staunen viel mehr, wie schnell sich doch Land und Leute ändern können.

Von der Wüste haben wir es nun also in den Atlas geschafft. Hier verlieren unsere Einzylinder mit zunehmender Höhe spürbar an Leistung. Ca. 10% pro 1000 Höhenmeter, was immerhin 30% und gut 9PS bei der XT wären. Und was beim Aufstieg an Motorleistung fehlt, vermisst man bei der Abfahrt an Bremsleistung. Dennoch mühen wir uns bis auf knapp 3000 Meter, bewundern die rötlich-karge Felslandschaft und lassen die Einzylinder wieder ins Tal hinab segeln.

Durch Wadis hindurch und vorbei an reichlich Pflanzungen: Salatgärten, Kartoffelfelder, Apfelbäume und dürre Pappeln finden sich auf teilweise über 2.500 Meter. Ohne diese grünen „Highlights“ wäre die Gegend doch wirklich trostlos. Das meist unbewachsene Schiefergestein führt die öde Landschaft der Wüste fort und bietet dem Auge nicht allzu viel Überfluss. Ganz anders erinnern wir uns da an unsere Fahrt in die Alpen…

Aber die Alpen haben wir immer vor der Tür, deshalb wollen wir noch so viel wie möglich von diesem Land aufsaugen. Und Marokko ist ja doch auch vielfältig. Wenn man sich nur mal überlegt, wie unterschiedlich der Fahrbahnbelag sein kann: Gestern noch im Schlamm in der Wüste festgesteckt, dann grobe Schotterpiste, anschließend ein frisch geteerter Bergpass und auf der Abfahrt noch als Krönung herrliche Serpentinen durch schroffe Schluchten. Vielleicht doch ein bisschen wie in den Alpen…

Nach einer Woche Biwak in der Natur wird es aber mal wieder Zeit, Kleider und Fahrer etwas zu pflegen. Zum ersten Mal kehren wir in Marokko nun in ein Hotel ein.

Schließlich wartet in Marrakesh unsere imaginäre Ziellinie. Dort ist in einem gewissen Sinne die Wiege der XT, denn hier erblickte sie das Licht der PR-Welt.

Noch einmal müssen wir dafür den Atlas überqueren und sammeln hier letzte Eindrücke der ärmlichen Landbevölkerung. Mit jedem Meter in Richtung Stadt kommen wir nun dem westlichen Reichtum entgegen – ein krasser Kontrast. Wenn im Gebirge noch in Lehmhütten gehaust wird, fährt man auf der Stadtautobahn G-Klasse BRABUS.

Endlich am Zielort angekommen, steuern wir im unübersichtlichen Verkehr die örtliche YAMAHA-Vertretung an. Bei der Gelegenheit wollen wir nach einem neuen Kupplungshebel für die XT fragen, der uns irgendwo in der Wüste gebrochen ist. Bei   besagtem Händler wird unsere 42 Jahre alte XT allerdings zunächst für eine HONDA gehalten, was schon etwas schmerzt.

Schade – weder ist hier jemand von unserem alten Eisen sonderlich beeindruckt, noch gratuliert man uns zu dem bestandenen Abenteuer. Wieder einmal haben wir vergeblich gehofft, an unserem Ziel mit wehenden Fahnen, Champagner und Lorbeeren begrüßt zu werden.

Und da es folglich auch keine Siegesfeier gibt, verlassen wir Marrakesh am frühen Abend bereits wieder und begeben uns auf den Weg Richtung Küste.

Über die eintönige und teilweise stark frequentierte Nationalstraße 7 erreichen wir spät in der Nacht das Meer. In der tristen Landschaft zwischen Marrakesh und Safi konnten wir einfach keinen guten Übernachtungsplatz finden und können nun mit dem Rauschen des Atlantiks einschlafen.

Das Klima hat sich mit unserer Fahrt ans Meer deutlich verändert. Von der angenehm trockenen Luft der letzten Tage ist nichts mehr zu spüren. Unsere Schlafsäcke und Packtaschen sind von der Nacht ganz feucht, die Morgenluft schon unangenehm schwül-warm.

Dennoch können wir den Frühstücks-Kaffee mit Meeresblick und dem Blöken einer Schafherde genießen.

Unsere Reise führt uns weiter entlang der Küste über Casablanca bis nach Rabat. Auch diese Orte durchstreifen wir nur per Fahrzeug und erleben das, was wir auf unseren Motorrädern wahrnehmen.

Gesichter und Kleidung mögen sich vielleicht ändern, das lebhafte Treiben eines Großstadtmarktes bleibt aber auf jedem Kontinent das gleiche. Für einen an Ordnung gewöhnten Deutschen kann es richtig erholsam sein, wenn man quasi aus seinem Sattel heraus eine Hand voll Nüsse am Marktstand oder eine Handtasche erwerben kann. Fest definierte Fußgängerzonen scheinen hier überflüssig zu sein.

Hinter Rabat wenden wir uns nun wieder dem Landesinneren zu. Den Rückweg fest im Blick, spulen wir nun Kilometer um Kilometer Richtung Fähre ab. Doch die zähen Fahrten auf Landstraße und Autobahn lassen uns spüren, dass weder Oma noch Enkelin für Langstreckenfahrten ausgelegt sind. Die Sitzbank ist schlicht, ein Windschild ist nicht vorhanden und hohe Drehzahlbereiche überlassen die Einzylinder anderen Motoren – vor allem in der marokkanischen Spätsommer-Hitze.

Nun bricht also der letzte Tag in Marokko an. In der Nacht sind wir vom Gewitter verschont geblieben, fahren jetzt aber unter einem verhangenen Himmel dem Fährhafen von Ceuta entgegen. Die Landschaft ist wieder etwas hügeliger, aber ansonsten unspektakulär. Die Ortschaften hinterlassen einen eher ärmlichen Eindruck – vom Tourismus ist hier nicht viel zu sehen.

Mit den letzten Kilometern müssen wir nun auch ein Fazit ziehen:

Großmutter und Enkelin haben es durch die Wüste bis nach Marrakesh geschafft.

Kann man also mit der Superleggenda die Rally Paris-Dakar gewinnen? Nein, leider nicht. Aber Passanten halten inne, bestaunen das stilsichere Gefährt und es ist weniger demütigend, wenn man in der Wüste von einem Einheimischen mit Turban und Sandalen auf einem chinesischen Roller überholt wird.

Wirklich vermisst haben wir das Potential einer hochgezüchteten Wettbewerbs-Rally-Maschine auf unserer Reise nicht. Mit zunehmender Länge der Reise gewinnt allerdings die Caballero immer mehr die Zuneigung der beiden Fahrer. Nur Charme und Charakter können die Runzeln und Falten der Großmutter nicht wett machen…

Neben dem reinen Emotionsfaktor gibt es natürlich auch noch messbare Unterschiede:

Die Superleggenda ist trotz 21“ Vorderrad sehr handlich und macht sowohl auf der Straße als auch im Gelände eine gute Figur. Der Federweg und das Ansprechverhalten des hinteren Stoßdämpfers könnten besser sein. In schnellen und steinigen Passagen muss das Chassis viele Schläge wegstecken und gibt diese and den Fahrer weiter. Die Bodenfreiheit ist absolut Geländetauglich, die Bremsen sind souverän.

Die XT 500 überrascht durch ein spielerisches Handling dank des niedrigen Schwerpunktes. Im Gelände zeigt sich ein beherrschbares Verhalten, das mehr einem Trial Motorrad als einem Crosser ähnelt. Das Fahrwerk steckt souverän selbst grobe Schläge weg. Die geringe Bodenfreiheit und die nicht mehr zeitgemäßen Bremsen sorgen für Abstriche. 8,5l Tankinhalt sind bei Reisen in entlegene Regionen nervenaufreibend und fordern permanente Kalkulation.

Die Superleggenda kann vieles besser, hat allerdings nicht mehr ganz die charakterstarke und ungestüme Art der XT. Die Superleggenda ist ein modernes Motorrad, das die Wurzeln und den Kern des Motorradfahrens nicht vergessen hat. Bravo!

Dann wäre da noch das Thema Leistung und das „Autobahn-Dilemma“:

Die Superleggenda wirkt mit 40PS im Jahr 2023 untermotorisiert. Fährt man gegen die 27PS der XT500 könnte man fast schon von Leistungsreserven sprechen. Die Motoren der beiden Motorräder sind völlig verschieden: Die XT hat einen Vergaser-Einzylinder der ursprünglichsten Art, drehmomentgewaltig zwischen 2500-3500 U/min, unmotiviert bis 5000 U/min und zäh bis in den roten Bereich bei 6500 U/min.

Der Superleggenda-Motor mit elektronischer Einspritzung hat eine lineare Leistungsentfaltung. Bei weniger als 3000 U/min hackt der Motor unter Last, dreht dann frei recht unspektakulär bis 7500 U/min, um dann lustlos und unter Leistungsabfall den Drehzahlbegrenzer bei knapp 9000 U/min zu erreichen.

Auf Nebenstraßen und Reisen außerhalb Zentraleuropas ist diese Leistungsklasse optimal. Der Fahrer muss Schaltpunkte gewissenhaft setzen, Schwung nutzen und wird damit automatisch Teil eines rasanten Fahrerlebnisses. Auf der Autobahn fühlt man sich gestrandet: 110km/h Reisegeschwindigkeit auf Transitetappen sind möglich. Für diesen Zweck wurden die Fahrzeuge nicht gebaut und mehr sollte ihnen an dieser Stelle nicht zugemutet werden. Auch wenn mit gutem Willen und aerodynamischer Körperhaltung durchaus bis zu 150 km/h möglich sind.

Die Superleggenda übernimmt also die Fackel der XT und trägt diese selbstbewusst. Kein anderes aktuelles Motorrad verbindet Charakter und Einfachheit in diesem Maß. Ob nun XT, Superleggenda oder ein anderes Fahrzeug: Auf den Kern des Motorradfahrens zurückkommen, unnötigen Ballast loswerden, bewusst verzichten. Dies trägt bei zu einer unkomplizierten Leichtigkeit in einer komplizierten Welt. Losfahren ohne Konnektivität, korrektem Fahrmodi oder Airbagweste. Denn Komfort und Sicherheit lassen sich nur schwer mit Abenteuer und Mut vereinen.

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